Die Geschichtswerkstatt und die Familie Sterneck

Rede von Almuth David

Liebe Anwesende, ich spreche hier als Mitglied der Geschichtswerkstatt „Jüdisches Leben im Münchner Westen“.
Im Herbst 2005 hatte die damalige Leiterin der Volkshochschule München West, Gudrun Eichler, zusammen mit Bernhard Schoßig, diese GWST gegründet, um nach Spuren ehemaligen jüdischen Lebens in unserem Stadtviertel zu suchen. Zu Beginn schien dieses Unterfangen ziemlich hoffnungslos, da hier nach Aussagen der Bevölkerung keine Juden gelebt hatten. Je tiefer wir aber gemeinsam in die Thematik eindrangen, umso klarer wurde, dass es auch hier einmal Bewohner mit jüdischen Wurzeln gegeben hatte, deren Existenzen und Schicksale aber verdrängt oder vergessen worden waren.

Beinahe drei Jahre dauerte die Spurensuche unserer 14 Mitglieder.
Mehr als 200 Personen haben wir auf diese Weise gefunden. Eine Auswahl ihrer so unterschiedlichen Lebenswege zeigten wir 2008 in einer Ausstellung in der Pasinger Fabrik; der Titel der Ausstellung „Ins Licht gerückt, jüdische Lebenswege im Münchner Westen“.

Am gleichen Ort, 14 Jahre später, sind wir heute versammelt, um an das Ehepaar Berthold und Margarethe Sterneck zu erinnern, das hier in den 30er Jahren in Fußentfernung von der heutigen Pasinger Fabrik mit seinen beiden Kindern Kurt und Hanni gelebt hatte.

Heute sind deren Enkel und Angehörige aus nah und fern hier unter uns, eine glückliche Fügung, denn lange Zeit hatte unsere GWST nur Daten
über die verstorbenen Großeltern gefunden.

Im Dezember 2005 führte eine erste Spur zu dem Opernsänger Berthold Sterneck: ein historisches Foto, das ihn in den 30er Jahren mit zwei Sängerkollegen bei der Münchner Oper zeigt. Es stammt aus dem kurz zuvor erschienenen 2. Band „Bilder vom alten Pasing“ von Bernhard Möllmann. Er hatte das Foto von der Tochter des Architekten Feye Peins, der 1930 das Pasinger Sterneck-Haus gebaut hatte, bekommen. Sie hatte ihm auch von dem tragischen Schicksal der Sternecks erzählt, da ihr Vater mit ihnen befreundet gewesen war.
 

Ein Schlüssel-Dokument war die Kopie einer undatierten Immobilienliste von sog. „Nichtarischem Besitz“ aus der NS-Zeit, die wir Anfang 2006 von der Geschichtswerkstatt Neuhausen erhielten. Sie stammte aus dem Archiv in Yad Vashem in Israel. Sie nennt die Flurnummer, die Adresse und den Besitzer eines Einfamilienhauses, Berthold Sterneck. Unsere Recherchen in den Grundsteuerakten im Staatsarchiv ergaben, dass das Haus 1930 von den Sternecks gebaut worden war und 1938 verkauft wurde.
Der Straßenname, Richthofenstraße, wurde nach 1945 geändert, die Sterneckvilla später abgerissen und durch ein Mehrfamilienhaus ersetzt.

Aber das Grundstück gibt es noch. Dort werden wir anschließend hingehen, um das Erinnerungszeichen einzuweihen.

Ein Hoffnungsschimmer, dass es vielleicht doch lebende Nachkommen des Ehepaars Sterneck geben könnte, lieferte dann im März 2007 ein Bericht in einem Buch von Else Behrend-Rosenfeld. Sie hatte 1939 eine Gruppe von 20 Münchner jüdischen Kindern im Zug nach Frankfurt begleitet, von wo diese auf einen Kindertransport nach England geschickt wurden. Sie erwähnt in ihrem Buch explizit eine Hanni Sterneck,
“die Tochter des in München so lange Jahre bewunderten und umjubelten Sängers“.
Aber…. wie sollten wir diese nach mehr als 65 Jahren denn finden?

Im Juni 2007 erschien der 2. Band des Biografischen Gedenkbuchs der Münchner Juden. Hier fanden wir erste Lebensdaten zu Berthold und Margarethe Sterneck und zwei Fotos.

Anfang September 2007 entdeckten wir das Grab von Berthold Sterneck
auf dem Neuen Israelitischen Friedhof in München. Die Bronzeplatte nennt auch Margarethe Sterneck, mit dem Todesort Schwenningen - 1945. Im Gedenkbuch hatte es noch geheißen: Todesort und Todesdatum unbekannt.

10 Tage später stieß ich zufällig auf eine Todesanzeige in der Süddeutschen Zeitung für eine Emmy Sterneck. Mit den bis zu diesem Zeitpunkt bekannten Daten und den in der Todesanzeige genannten Namen der Angehörigen war es offensichtlich, dass die Verstorbene irgendwie mit dem Ehepaar Sterneck verwandt sein müsste.
So entstand durch diese Todesanzeige zum ersten Mal eine Verbindung zu den heute Lebenden.

Mein Mann fand dann unter den genannten Angehörigen den Namen einer seiner ehemaligen Studentinnen. Über das Internet erfuhren wir, dass sie inzwischen Forscherin in Washington / USA geworden war.
Und… ihre homepage verhalf uns endlich zu einer e-mail Adresse.

Meine etwas zaghafte e-mail mit „Hintergrundmaterial“ an diese mir bisher fremde Person brachte, zu meiner Freude, schon am nächsten Tag ihre sehr positive Antwort aus Washington und die ihrer Schwester aus Nürnberg.

 Sie schrieb: Gerade jetzt, wo sich die Generationen abwechseln, ist die Beschäftigung mit den Ahnen wichtig und es ist mir nicht im geringsten unangenehm“.

Anfang Dezember 2007 kam der dritte Sterneck-Enkel – ein Musiker – aus Frankfurt, und seine in England lebende Schwester als Vierte mit in diese virtuelle „Sterneck-Runde“. Damit war der Bann gebrochen, und es begann ein lebhafter Austausch von Daten, Dokumenten und Fotos.
Sehr bewegt hat uns alle, mit welcher inneren Anteilnahme sich die vier Enkel – über große räumliche Distanzen hinweg – gemeinsam mit uns – am Werdegang des Ausstellungs-Kapitels über Berthold und Margarethe Sterneck und deren Familie beteiligten.
Weil die Großeltern so früh aus dem Leben gerissen worden waren, hatte ja keiner der Enkel sie je persönlich kennenlernen können.
 
Im Frühling 2008 war es dann so weit: wir konnten unsere gemeinsamen Forschungsergebnisse in einer Ausstellung in der Pasinger Fabrik präsentieren.

Hatte uns nicht unser Ausstellungsgestalter, Florian Raff, immer wieder gedrängt, dass wir neben Postern über die einzelnen Familien auch möglichst Objekte zur Belebung der Ausstellung beisteuern sollten;

„Bitte, nicht nur Flachware!“, war seine Rede.

Und… wie es der Zufall so will, wurde ein alter Flügel zum Mittelpunkt der Ausstellung. Er war 1933 für die Pasinger Sterneck-Villa angeschafft worden und hatte die bewegten Zeiten überstanden.

Unvergesslich ist für mich die Eröffnung der Ausstellung im April 2008.
Alle vier Sterneck-Enkel und Hannis betagter Mann aus Schottland waren anwesend. Sein Sohn, der Musiker, setzte sich an den Flügel und spielte ein Stück, das Friedemann Lichtwitz zu Hannis 24. Geburtstag 1947 komponiert hatte.

zur 2. Rede, von Peter Sanders und Jenny Nash


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