Der Opernsänger Berthold Sterneck und seine Familie

Die Karriere des Opernsängers

Bernhard Möllmann

Im Jahr 1930 erschien die Festschrift „50 Jahre Würmtalbote“. Auf insgesamt 117 Seiten wird die „Entwicklung Pasings (...) innerhalb der letzten fünf Jahrzehnte“ dargestellt. Unter den Autoren fällt vor allem Oberbürgermeister Dr. Alois Wunder mit dem umfangreichsten Artikel (29 Seiten) auf. In der Beilage 2 behandelt der Kunstmaler Karl Orth das Thema „Pasing-Obermenzing als Künstlerkolonie“. Neben Malern und Bildhauern, Schriftstellern und Komponisten, nennt er drei Opernsänger namentlich: „die Kammersänger Fritz Krauß, Berthold Sterneck und Otto Wolf“.
Wenige Jahre später würde man im „Würmtalboten“, der dann als „Parteiblatt der NSDAP“ firmierte, eine derartige Erwähnung vergeblich suchen.

Das Münchner Nationaltheater hat die Opern- und Ballettproduktionen von 1653 bis 1992 aufgelistet. Dieser Dokumentation kann man entnehmen, wie in den einzelnen Inszenierungen die Hauptrollen besetzt waren. Der Bariton Berthold Sterneck ist bei 13 Opern zwischen dem 23. Mai 1925 und dem 12. Januar 1936 namentlich aufgeführt, wobei eine Häufung in den Jahren 1926/1927 und eine Abnahme nach 1933 auffällt (nur noch zwei Nennungen in drei Jahren).

Es handelt sich um Opern von Puccini, Debussy, Ravel, Wagner (3), Mozart, Coates, Richard Strauß, Wolf-Ferrari, Wartisch sowie zwei Operetten von Johann Strauß und einer Operette von Franz von Suppé.

Auf Autogrammkarten und Theater-Aushangzettel sind 19 weitere Rollen zu finden. 
Es ist anzunehmen, dass Berthold Sterneck in noch mehr als diesen 32 Inszenierungen in München zwischen 1923 und 1936 aufgetreten ist.
Außerdem wird von Gastspielen in Amsterdam, Frankfurt a. M., London, Florenz, Salzburg und Wien (1931, 1936, 1937) berichtet.

Auch Konzerte, die das neue Medium Rundfunk brachte, unterstützten seine Bekanntheit und seine Beliebtheit. Die Radiozeitung lieferte neben dem Programm auch Porträts der Künstler.

Berthold Sterneck war in der Gesellschaft als Kammersänger angesehen und beliebt, er war auch in der Münchner Künstlerszene integriert. So war er Mitglied einer Skatrunde, der auch der Komponist Richard Strauß (1864-1949) angehörte. Dieser bediente sich gelegentlich der freundschaftlichen Hilfe Sternecks.

In der Geschichte der Opern-Inszenierungen hat eine Szene mit einer Skatrunde Aufsehen erregt. Es handelt sich die Oper „Intermezzo“ von Richard Strauß, die am 21. Mai 1926 am Münchner Nationaltheater Premiere hatte. Berthold Sterneck spielte hier den „Kammersänger“.

Über die Karriere Berthold Sternecks schreibt das „Große Sängerlexikon“:
„Er galt bald als einer der führenden Bassisten seiner Generation im deutschen Sprachraum, wobei man neben der Tonfülle seiner tiefen Bassstimme vor allem seine darstellerische Begabung in komischen Partien bewunderte.“

Der Würmtalbote berichtete am  7. Dezember 1932 über ein Wohltätigkeitskonzert der Pasinger Nothilfe, bei dem viele ortsansässige Künstler mitwirkten: „Nach der Pause gab es Kammersänger Berthold Sterneck zu hören, der seine gesangliche Kunst und seine mächtigen stimmlichen Mittel den Liedern „Herzlieb“ von Grieg, „An der Weser“ von Pressel und „Das Herz am Rhein“ von Hill schenkte. Auch Kammersänger Sterneck musste sich wie Otto Wolf zu einer „Dreingabe“ bereitfinden, mit der ganzen Gewalt seines Basses stieg er in „den tiefen Keller“. Das Haus jubelte vor Begeisterung.“

Lebensdaten – Die Zeit vor München

Berthold Sterneck wurde als Berthold Stern am 30. April 1887 in Wien geboren. Dort ging er auch zur Schule (Matura um 1906). Seine ersten Theaterauftritte hatte er 1906 am Lortzing-Theater in Berlin und von September 1907 an in Nürnberg und Fürth. Von Oktober 1908 bis September 1911 leistete er seinen Präsenzdienst beim Infanterieregiment 4. Es folgten in der Saison 1913/14 Theaterengagements in Saaz und Eger. Am Ersten Weltkrieg nahm er von 1914 bis 1916 im „Deutschmeisterregiment“ teil.

Von 1916 bis 1920 hatte er ein Engagement am Opernhaus in Graz, wo er mehrere Wagner-Rollen übernahm. In dieser Zeit wirkte hier der junge Karl Böhm als Korrepetitor und Dirigent. In Graz lernte er die Opernsängerin Ernestine Franziska Schröder (genannt Esta) kennen. Die beiden heirateten am 30. Dezember 1918. Der Vater der Braut war Magister der Pharmazie und Administrator des Grazer Volksblattes. Kurz vor der Hochzeit waren Berthold Sterneck und seine katholische Braut in die evangelische Kirche übergetreten.

Am 28. Juni 1919 wurde der Sohn Kurt Julius geboren. Als die junge Mutter am 19. November 1919 starb, kam der Bub zu Verwandten mütterlicherseits in Graz.

Berthold Sterneck ging von 1920 bis 1923 an das Deutsche Theater in Prag. Dort heiratete er am 14. Oktober 1922 die Opernsängerin Margarethe Cäcilia Gutmann (Künstlername „Margarethe Gerth“), geboren am 12. Mai 1894. Die Braut hatte sich am Vortag in der evangelischen Kirche taufen lassen. Ihr Vater war Besitzer einer Buchdruckerei.

Die Zeit in München

In München erlebte Berthold Sterneck seine großen künstlerischen Erfolge und die Familie ihre glücklichste Zeit.
Und in München erfuhr jedes Familienmitglied Diskriminierung, Entrechung und unmenschliche Verfolgung.

1923 wurde Sterneck an die Bayerische Staatsoper München verpflichtet. Das Ehepaar nahm den Sohn Kurt zu sich und zog nach München in die Trogerstraße 17a. Am 2. November 1923 wurde die Tochter Johanna Freia (genannt Hanni) in München geboren. Im Jahr 1927 wurde der Künstlername Sterneck zum offiziellen Familiennamen. Vom 8. Oktober 1928 an wohnte die Familie in der Cuvillièsstraße 1a. Ihr Haus in Pasing, Richthofenstraße 1 (heute Presselweg 1, Ecke Schmaedelstaße) bezogen die Sternecks im August 1930.

In Frauke Brockhoff, geborene Peins, (1912-2006) finden wir eine Zeitzeugin, die die Familie Sterneck persönlich gekannt hatte. Ihr Vater Feye Peins (1882-1968) war der Architekt, der das Haus Sterneck in Pasing (um-)gebaut hatte. Zwischen den Familien Sterneck und Peins entstand ein freundschaftlicher Kontakt. Der Mutter Peins hatte das Ehepaar Sterneck die Fotokarte, die sie auf der Terrasse zeigt, mit einer Widmung geschenkt: „Unserer lieben, guten Frau Peins herzlichst Gretl und Bertl Sterneck. Pasing, 6.II.1932“.

Frauke, die 1930 das Abitur ablegte, war durch eine düstere Bemerkung Berthold Sternecks beeindruckt und zugleich verwirrt worden, die er bei einer monochromen Darstellung eines Straßenmusikanten machte: „So enden wir alle einmal.“ Erst später ist ihr die Bedeutung dieser Prophezeiung klar geworden.

Verblüffend ist das übereinstimmende Motiv auf dem Titelbild der Bayerischen Radio-Zeitung vom 28.2.32 „Hofmusikanten“.

Mit Wirkung vom 31. August 1936 wurde Sternecks Vertrag wegen seiner jüdischen Abstammung aufgrund der „durch die neue Gesetzgebung geschaffenen Lage“ nicht mehr verlängert. Das Schreiben der Generalintendanz der Bayerischen Staatstheater vom 14.1.1936 spricht von Bedauern und Dank. „Die Dienste, die Sie, sehr geehrter Herr Kammersänger, der Münchener Staatsoper unter anderen Verhältnissen geleistet haben, werden unvergessen bleiben.“

Die Reichstheaterkammer schloss Berthold Sterneck mit Schreiben vom 25. Februar 1937 aus. Der Ton dieser Entscheidung ist bürokratisch:
„Auf Grund des § 10 (...) schließe ich Sie hiermit aus der Reichstheaterkammer aus, da Sie die nach der Reichskulturkammergesetzgebung erforderliche Zuverlässigkeit im Sinne der nationalsozialistischen Staatsführung nicht besitzen.“ Damit war seine weitere Berufsausübung „auf jedem zur Zuständigkeit der Reichstheaterkammer gehörigen Gebiet“ verhindert.

Sternecks Betroffenheit kommt in einer Widmung zum Ausdruck, die er für eine einstige Mitbewohnerin des Hauses in der Cuvilliesstraße auf die Rückseite einer Künstlerkarte schrieb. Sie hat den Charakter einer Prophezeiung: „Im Dezember 2001 wird Urgroßmütterlein Lore sagen: „Ja, gibt’s denn so was a? Diesen so fest geschlossenen Mund habe ich einst auf der alten Staatstheaterbühne singen und lachen gehört – es war eine köstliche Zeit.“
Geweissagt und gewünscht im Dezember 1937 vom einstigen Hausgenossen B. Sterneck“

Weil Berthold Sterneck kein geregeltes Einkommen mehr hatte, musste er 1938 das Pasinger Haus verkaufen. Die Familie zog in die Mechthildenstraße um.
Nach letzten Gastspielen im Ausland zwischen 1936 und 1938 wurde Berthold Sterneck zur Hilfsarbeit beim Lagerbau und in einer Kunstharzpresserei gezwungen.
 
Margarethe Sterneck, die vor ihrem Gesangsstudium eine Handelsschule und eine Nähschule besucht hatte, versuchte durch das Nähen von Hausschuhen zum Lebensunterhalt beizutragen.

Die fünfzehnjährige Tochter Johanna, die bis 1938 die Pasinger Grotschule besucht hatte, wurde am 27. Juni 1939 mit einem der letzten Kindertransporte nach London geschickt. Eine Familie in Bexhill on Sea, Sussex, nahm sie auf.

Der Sohn Kurt legte im Frühjahr 1937 am Realgymnasium in München das Abitur ab und begann Praktika für das Ingenieurstudium, gleichzeitig arbeitete er als Abendbeleuchter an den Kammerspielen und am Gärtnerplatztheater.
1938 wurde er zum Militär eingezogen, woran sich bis 1943 der Kriegsdienst anschloss.

Dann nahm er das Studium an der TH München auf, wurde jedoch 1944 wegen seiner jüdischen Abstammung verhaftet und kam am 4. Oktober als „Schutzhäftling“ ins KZ Dachau. Von dort er wurde am 8. November ins Zwangsarbeiterlager Wolmirsleben in Sachsen-Anhalt überstellt, wo er bis Kriegsende gefangen blieb.

Am 1. März 1943 erhielten „Berthold Israel Sterneck und Frau“ von der Geheimen Staatspolizei die Ankündigung der Deportation („Abwanderung“) und der Enteignung:
„Sie werden davon verständigt, dass Sie zu einem Abwanderungstransport eingeteilt sind. Sie haben sich am 8. März 1943 in Ihrer jetzigen Unterkunft bereitzuhalten und dürfen diese ohne Erlaubnis der Geheimen Staatspolizei ... nicht  – auch nicht vorübergehend – verlassen...“

Das gesamte Vermögen wurde beschlagnahmt. Was jeder „Transportteilnehmer“ in einem Handkoffer mitnehmen sollte, macht deutlich, dass ein Arbeitslager oder ein KZ das Ziel war: „1 Paar derbe Arbeitsstiefel ... 1 Arbeitsanzug, 2 Wolldecken ... 1 Essnapf, 1 Trinkbecher und 1 Löffel. Messer und Gabeln dürfen nicht mitgenommen werden. Die Verpflegung während des Transportes für 5 Tage ist mitzubringen... “

Obwohl es verboten war, Juden zu behandeln, wurde Berthold Sterneck im Jahr 1943 wegen einer Krebserkrankung im Nymphenburger Krankenhaus aufgenommen.
Eine Operation brachte jedoch keine Rettung mehr.
Er starb dort am 25. November 1943.

Sein Grab findet man auf dem Neuen Israelitischen Friedhof.
Am 7. Januar 1944, also sechs Wochen nach dem Tod ihres Mannes, erhielt Margarethe „Sara“ Sterneck einen neuen Abwanderungsbescheid. Nur mit einer Handtasche verließ sie ihre Wohnung und übernachtete bei Bekannten. Am nächsten Morgen floh sie nach Wien, wo sie immer wieder ihre Unterkunft wechselte.
Als auch dort die Gefahr der Entdeckung zu groß wurde, flüchtete sie über Ering (Niederbayern), Kufstein nach Montafon (Vorarlberg). Ihr Versuch, sich in die Schweiz zu retten, misslang.

Ihre Irrfahrt führte weiter über Nürnberg nach Stuttgart, wo ihr ein evangelischer Pfarrer eine Zuflucht in Schwenningen/Neckar anbot. Dort nahm sie die Vikarin Dr. Margarete Hoffer im Pfarrhaus auf. Margarethe Sterneck lebte hier unter falschem Namen, auf das Haus und den Garten beschränkt, den sie allerdings nur nachts betreten konnte.

Ihr Mann war tot, ihre Tochter bei fremden Leuten im Ausland, ihr Sohn im KZ. In ihrer Angst vor Entdeckung und unter der Belastung, die Schutzbietenden zu gefährden, sah Margarethe Sterneck keinen Ausweg mehr.

Am 22. Februar 1945 nahm sie sich das Leben.

Die Überlebenden

Der Sohn Kurt Sterneck setzte nach seiner Befreiung aus dem Lager im Jahr 1945 sein Studium fort. 1949 fand er als Diplomingenieur in München eine Anstellung, begann jedoch gleichzeitig ein Schauspielstudium. Trotz seiner leitenden Stellung in der Industrie wechselte er 1955 ins Schauspielfach.

Nach Theaterengagements in Krefeld, Pforzheim, Augsburg, Innsbruck sowie Tübingen ging er 1967 ans Schauspielhaus Graz und begann daneben eine Lehrtätigkeit an der Hochschule für Musik und Darstellung sowie an der Universität Graz.

Im Jahr 1993 zog er mit seiner Frau Emmy zurück nach München. 1993/94 verabschiedete er sich mit einer Rolle in „Das Konzert“ von Hermann Bahr in der „Komödie im Bayerischen Hof“ von der Bühne.

Am 23. Januar 1998 starb er in München. Seine Frau Emmy Sterneck starb am 8. September 2007 in München. Kurt Sterneck und seine Frau hinterließen zwei Töchter.

Die Tochter Johanna Sterneck hatte während des Krieges im Austrian Center in London einen jungen Emigranten aus Wien kennen gelernt. Sie heirateten 1948 und bekamen eine Tochter und einen Sohn.

Johanna Sterneck lebte bis zu ihrem Tod im Jahre 1999 in Großbritannien.


(Wichtige Grundlage für diese Lebensdaten ist die Zusammenstellung der Enkelin Margret Sterneck. Almuth David und Gudrun Koppers-Weck danke ich für ihre Mitarbeit.)


Literatur:

Biographisches Gedenkbuch der Münchner Juden 1933-1945, Hg. Stadtarchiv München, Bd. 1, München 2003, Bd. 2, München 2007.

K .J. Kutsch/Leo Riemens, Großes Sängerlexikon, München 2003

Hans Zehetmair/Jürgen Schläder, Nationaltheater, München 1992

Würmtal-Bote, Festschrift zum 50jährigen Bestehen unserer Zeitung, Pasing 1930

Bernhard Möllmann, Pasinger Album, München 2004

Edition Wiener Staatsoper, Booklet zur CD Vol 12, Düsseldorf 1994


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