Johann Baptist Nimmerfall

Biografische Hinweise

Johann Baptist Nimmerfall – später Hans genannt – kam am 25.Oktober 1872 in München als erstes von 14 Geschwistern in bescheidenen Verhältnissen zur Welt. Die Mutter war Köchin, der Vater Schreinermeister. 

Hans Nimmerfall besuchte in München von 1879 bis 1887 die Volksschule und absolvierte dann bis 1890 eine Lehre als Schreiner. Anschließend unternahm er die damals übliche mehrjährige Wanderschaft als Handwerksgeselle zur Erweiterung seiner beruflichen Kenntnisse und Fertigkeiten, die ihn neben anderen deutschen Regionen auch nach Österreich, Italien, Belgien, Frankreich, Böhmen und Russisch-Polen führte. Nach seiner Rückkehr nach München hatte Nimmerfall  wegen seines politischen und gewerkschaftlichen Engagements Schwierigkeiten, dauerhaft Arbeit in seinem erlernten Beruf zu finden. Er betrieb deshalb einige Zeit lang eine Schankwirtschaft.

1895 heiratete Nimmerfall Christine Schultmayer, mit der er sechs Kinder hatte. Ein Kind starb jedoch bald nach der Geburt.

1903 erfolgte der Umzug nach Pasing, wo Nimmerfall  eine Stelle als Lagerhalter der Filiale des Konsumvereins Sendling-München an der Ecke Gleichmann-/Spiegelstraße übernahm.  

1918 trennten sich die Eheleute. Nimmerfall zog in das neu errichtete Wohngebäude der Baugenossenschaft Pasing für Kleinwohnungsbau in der heutigen Nimmerfallstraße (im sog. Sporerblock).

Politisches Engagement

Im Jahr 1897 – mit 25 Jahren – wurde Nimmerfall Mitglied der SPD und engagierte sich im Deutschen Holzarbeiterverband. Zwei Jahre später folgte bereits die Berufung in den Gauvorstand dieses Verbandes.

Auch innerhalb der SPD übernahm er bald hervorgehobene Funktionen:  im Jahr 1900 Wahl in den Bezirksvorstand der SPD Südbayern; 1908 Ernennung zum Bezirksparteisekretär der südbayerischen SPD. Beide Ämter übte er bis zum Verbot der Partei 1933 aus.

1912 eroberte Nimmerfall den Wahlkreis München-Land gegen die etablierte Zentrumspartei und gewann damit einen Sitz im Bayerischen Landtag, dem er bis 1920 und dann noch einmal zwischen 1924 und 1928 angehörte.

Nach dem Ersten Weltkrieg wirkte Nimmerfall als Mitglied des Provisorischen Nationalrats zwei Monate (November/ Dezember 1918)  am Aufbau der ersten deutschen Republik mit.

Eine sehr spannungsreiche, aber ebenfalls nur zwei Monate (Juni/Juli 1919) dauernde Episode war die Berufung als politischer Staatsrat in das Bayerische Ministerium für militärische Angelegenheiten. Regierungschef war damals Johannes Hoffmann (SPD).

Bei einer Gedenkveranstaltung der politischen Linken im Juni 1922 anlässlich der Ermordung von Außenminister Walter Rathenau hielt Nimmerfall eine bemerkenswerte Rede zu den Hintergründen dieses Attentats und zur allgemeinen politischen Situation. Damit erwies er sich als hellsichtiger und mutiger Politiker. Die Feinde der Republik dürften sich spätestens damals seinen Namen gemerkt haben.


Lokalpolitik

Hans Nimmerfall engagierte sich auch intensiv in der Pasinger Kommunalpolitik.
Der Magistrat der Stadt Pasing war stark von konservativ eingestellten Großbauern und Gewerbetreibenden dominiert.. 1906 schaffte er immerhin den Einzug in das Kollegium der Gemeindebevollmächtigten, das aber lediglich beratende Funktion hatte (bis 1911). Von 1911 bis Juli 1933 war er Mitglied im Magistratsrat (ab 1919 mit der Bezeichnung „Stadtrat“).

Durch seine engagierte Mitarbeit in den städtischen Verwaltungsgremien gab Nimmerfall der Pasinger Stadtpolitik in den schwierigen Jahren vom Ende des 1. Weltkriegs bis 1933 prägende Impulse.


Baugenossenschaft
Die Wohnungssituation vieler Arbeiterfamilien war in der Epoche der dynamischen Industrialisierung um die Jahrhundertwende schlichtweg katastrophal. Das galt auch für Münchens Vorort Pasing. Eine Lösung war jedoch nicht in Sicht, da weder die Stadtverwaltung noch der konservativ eingestellte Magistrat Pasings ein Interesse an der Lösung dieser sozialen Frage zeigten. Deswegen kam es 1909 in Pasing zur Gründung einer Baugenossenschaft speziell für Arbeiter und Handwerker. Im Januar 1910 erfolgte der offizielle Eintrag der  „Baugenossenschaft Pasing für Kleinwohnungsbau eGmbH“ in das Genossenschaftsregister. Trotz des programmatischen Namens war das vom Vorstand anfangs gesetzte Ziel der Bau von Einfamilienhäusern mit Garten, nach dem Vorbild der Gartenstadt Hellerau bei Dresden. Zwei entsprechende Entwürfe durch Pasinger Architekten wurden erstellt, darunter einer von Richard Riemerschmid. Allerdings fanden die ersten vier Genossenschaftsvorsitzenden innerhalb von zwei Jahren keinen praktikablen Ansatz zur Realisierung dieser Utopie. Nimmerfall ergriff in dieser Situation die Initiative: Er plädierte für den Bau von Mehrfamilienhäusern mit  Gemeinschaftseinrichtungen und konnte sich mit diesem Konzept durchsetzen. Daraufhin wurde er im März 1912 der neue Genossenschaftsvorsitzende und konnte so seine Erfahrungen und seine Durchsetzungs-fähigkeit zur Geltung bringen.

Weil die Verwaltung der Stadt Pasing der Baugenossenschaft die Unterstützung versagte, klagte deren Vorstand vor dem Bayerischen Verwaltungsgericht und hatte tatsächlich Erfolg. Von diesem damals als sensationell angesehenen Urteil profitierten in der Folge Baugenossenschaften in ganz Bayern; denn die Kommunen waren jetzt verpflichtet den gemeinnützigen Wohnungsbau zu unterstützen. Doch die Stadt Pasing legte Einspruch ein – allerdings vergeblich - und legte sich trotz der juristischen Niederlage noch eine Zeitlang quer. Allerdings hatten inzwischen einige der großen Pasinger Unternehmen die Notwendigkeit des Wohnungsbaus für ihre Arbeiter erkannt und unterstützten die junge Baugenossenschaft. 

Nach Regelung aller Altlasten und einer vollständigen Neuplanung begann die Baugenossenschaft Ende Juni 1914 mit dem Bau von 8 Häusern mit 87 Wohnungen an der heutigen Nimmerfallstraße. Die politische Situation in Europa hatte sich jedoch inzwischen völlig verändert und im August 1914 brach der 1. Weltkrieg aus. Der führte in der Folge zu einem umfassenden Wirtschafts-, Währungs- und Finanzchaos. Trotzdem wurden in der von Hans Nimmerfall in 20 Jahren bis 1933 geprägten Ära in der Wohnsiedlung zwischen Nussel-, Nimmerfall-, Mendelssohn- und Josef-Lang-Straße insgesamt 30 Häuser mit 242 Wohnungen, eine Gaststätte mit Saal und Metzgerei, 4 Läden und ein Genossenschaftsbüro errichtet.

Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme durfte Nimmerfall wie auch alle anderen SPD-Mitglieder bei der erzwungenen Neuwahl von Aufsichtsrat und Vorstand der  Baugenossenschaft für Kleinwohnungsbau nicht mehr kandidieren.


Verfolgung während der NS-Diktatur 

Während die Stadt Pasing in der Weimarer Zeit Hans Nimmerfall wegen seiner Verdienste eine Dankesurkunde und einen Ehrenbrief verliehen hatte, verhaften ihn die Nationalsozialisten am 11. März 1933 wegen des Verdachts auf „Hochverrat“ und inhaftieren ihn einige Tage im Polizeigefängnis in der Ettstraße.

Vom 19. April bis 1. Mai 1933 erfolgt die nächste Inhaftierung Nimmerfalls in der Münchner Haftanstalt Am Neudeck. Das geschieht im Rahmen der großen deutschlandweiten Verhaftungsaktion von führenden Mitgliedern der SPD und des Reichsbanners-Schwarz-Rot-Gold, dem politischen Wehrverband zum Schutz der Republik.

Nach dem offiziellen Verbot der SPD am 22. Juni 1933 wird Nimmerfall eine Woche später am 30. Juni wegen angeblicher Kurierdienste für geflüchtete Parteifunktionäre im Pasinger Rathaus verhaftet und in das Konzentrationslager Dachau eingeliefert (Häftlingsnummer 2308). Dort wird der damals 61-Jährige durch schwere Arbeiten und stetigen Terror der Wachmannschaften körperlich und psychisch zu Grunde gerichtet.

Dazu ein Leidensgenosse:
„Ich habe Hans Nimmerfall als aufrechten und unerschrockenen Vertreter der Arbeiterschaft kennengelernt. Als solcher war er bei den leitenden Personen der NSDAP sehr verhasst und wurde infolgedessen schon in den ersten Märztagen 1933 verhaftet. Im Konzentrationslager Dachau wurde Nimmerfall von Anfang an zu schwerer körperlicher Tätigkeit in der Kiesgrube oder beim Straßenbau herangezogen. Zwischenhinein hatte er auch an Arbeiten wie Entleeren der Küchenabfalltonnen oder der Abortgruben u. ä. teilzunehmen. Nach solcher „Sonderbeschäftigung“ waren die Betroffenen nicht nur besonders dreckig und stinkend, sondern auch seelisch und körperlich vollständig erledigt.“

Wenige Monate später, im Februar 1934, wird Nimmerfall als gebrochener und kranker Mann aus der Haft entlassen. Von den dort erlittenen Qualen erholte er sich jedoch nicht mehr, er litt weiterhin unter Herzbeschwerden und fürchterlichen Verfolgungsängsten und starb am 20. August 1934 im Pasinger Krankenhaus. Begraben wurde er auf dem Ostfriedhof in München.

 


Verfasser: Bernhard Koch – Herausgeber: Institut für zukunftsweisende Geschichte e.V. – München 9.8.2024


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