Warum suchen wir nach Spuren jüdischen Lebens
Nach den Recherchen der Geschichtswerkstatt "Spuren jüdischen Lebens in Pasing" waren Juden in der Bevölkerung hier anteilig genau so vertreten wie im übrigen Deutschen Reich. Namentlich sind etwa zweihundert Personen nachzuweisen, die zum Kreis der Verfolgten gezählt wurden. Die einen konnten sich durch Emigration retten, andere starben vor oder während der Zeit der Verfolgung, wobei die Erschwernisse durch die Repressionen keine unwesentliche Rolle spielten, andere wurden deportiert und ermordet. Einige wenige kehrten aus Theresienstadt zurück, ganz wenige überlebten hier.
Eine der Folgen der systematischen Ausgrenzung der jüdischen Bevölkerung ist das Vergessen, dem die Opfer anheimfallen. Wir Nachgeborenen beteiligen uns in diesem Vergessen am Unrecht, das den Juden damals zugefügt wurde. Wenn wir dies nicht wollen, müssen wir gegen das Vergessen arbeiten. Was rekonstruiert werden kann aus Akten, Berichten von Zeugen, Erzählungen von Angehörigen, soll in unserer Forschung zusammengetragen werden und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Vieles ist nicht mehr nachvollziehbar, weil Unterlagen fehlen und verschwunden sind, weil von einigen Personen keine Bilder auffindbar sind, weil von einigen niemand mehr berichten kann. Auch wenn die Ergebnisse unserer Forschung lückenhaft bleiben müssen, ist das, was wir finden konnten, mehr als erwartet.
In der Arbeit der Geschichtswerkstatt gab es zwei wichtige Abgrenzungsfragen: Wer gehört als „Jude“ in den Fokus unseres Projektes und wie wird es geographisch eingegrenzt? Die Frage nach „Juden“ im Münchner Westen könnte ganz einfach zu beantworten sein, wenn es nicht die rassistisch-antisemitische Politik des nationalsozialistischen Deutschland gegeben hätte. Dann wären Juden ausschließlich Menschen gewesen, die Mitglieder der jüdischen Religionsgemeinschaft waren. Infolge der rassistischen Definition der Nazis wurden aber auch Menschen mit jüdischen Wurzeln, die sich vom Judentum teilweise schon vor Generationen - abgewandt hatten, zu Juden erklärt. Diese Menschen verstanden sich selbst nicht als Juden, sondern als Christen oder Atheisten. Da sich die nationalsozialistische Verfolgungspolitik nicht nur auf Juden im religiösen Sinne erstreckte, sondern auch auf (im Nazi-Jargon so genannte) „nichtarische Christen“ und Atheisten, bezieht dieses Projekt auch Menschen mit jüdischen Wurzeln ein, die sich nicht (mehr) als Juden betrachteten. Auch wenn damit ein Stück weit die nationalsozialistische Perspektive übernommen wird: die historische Entwicklung der rassistischantisemitischen Verfolgung erfordert diese Ausweitung.